Was haben Maikäfer, Schneekrabben und Ringelwürmer mit der Baubranche zu tun? Auf den ersten Blick scheinen diese Tiere und Baumaterialien wie zwei Welten, die nichts gemeinsam haben. Ein interdisziplinäres Team der Universität Stuttgart versucht nun jedoch, die beiden doch so unterschiedlichen Welten miteinander zu verbinden. Denn das Chitin, das in Insekten- und Krustentierpanzer vorkommt, ist eine hoch belastbare Substanz und sorgt für den mehr oder weniger grossen Teil ihrer Stabilität – und soll in Zukunft auch Gebäuden zur Beständigkeit verhelfen.
Robust und dennoch biegsam ist das Polymer Chitin. Diese Eigenschaften sind auch für Baustoffe interessant. Denn Chitin ist, im Gegensatz zu Cellulose-basierten Materialien wie Holz, Dämmstoffe, Beschichtungen und Verbundwerkstoffen, mit hydrophoben Eigenschaften ausgestattet. Das heisst, dass die naturale Substanz kein Wasser aufnimmt und dadurch schimmelresistent ist. In einem weiteren Verfahren, also durch die Zugabe weiterer chemischen Stoffe, kann zudem eine feuerfeste Eigenschaft angestrebt werden. Neben diesen gefragten Eigenschaften von Baustoffen in der Bauwelt kann Chitin auch in ökologischer Hinsicht positive Effekte mit sich bringen. In Spezialanfertigungen unterstützt der neuartige Werkstoff zudem die nachhaltige Eindämmung hoher CO2-Emissionen und lässt sich zudem aufgrund der biogenen Masse kompostieren. Erste erfreuliche Resultate konnten mittlerweile präsentiert werden, wie es in einer Medienmitteilung der Universität heisst. Die Materialien böten mechanische Stabilität sowie die angestrebte, geringe Dichte.
Forschung erst in den Anfängen
Trotz den ersten, kleinen Erfolgen steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen, besonders aufgrund der Schwierigkeit, dass sich das robuste Chitin nur schwer in einer Lösung modifizieren lässt. Das Forschungsteam rund um die Universität Stuttgart bekam im September 2020 die Bewilligung sowie zwei Millionen Fördergelder, um die Forschung unter dem Namen «Chitinfluid – Ressource für multifunktionale Werkstoffe via wasser-basierter komplexer Fluide» aufzunehmen. Dabei wollen die Forscher über mehrere Schritte einen harzartigen, giessfähigen Ausgangsstoff herstellen. Ist diese Flüssigkeit sodann hergestellt, kann entweder durch kontrollierten Wasserentzug, Mineralisation oder Zugabe von Treibmitteln das Chitin-Derivat zu festen Schäumen, Verbundwerkstoffen oder Beschichtungen verarbeitet werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine einstellbare Biegesteifigkeit, und kann individuell für unterschiedliche Verwendungen modifiziert werden.
Auf dem Campus der Universität Stuttgart wurde bereits ein erstes Projekt ausgestellt, das die Möglichkeiten der Chitin-basierten Möglichkeiten im Bauwesen und in der Architektur zeigt. Ein Pavillon, bestehend aus einer Leichtbaukonstruktion aus einer biegeaktiven Gitterschale aus Naturfaser-Bioverbundprofilen. Die Profile sind vollständig biologisch abbaubar und demonstrieren einen nachhaltigen Ansatz für die Architektur der Zukunft.
Teilen auf: